Wie in den ersten Jahrhunderten des Christentums können
sich auch in unseren Zeiten in jenen Ländern der Welt, wo Religionsverfolgungen
wüten — offen oder versteckt, jedoch nicht weniger hart —, die bescheidensten
Gläubigen von einem Augenblick zum anderen der dramatischen Notwendigkeit
gegenübersehen, wählen zu müssen zwischen ihrem Glauben, den unangetastet zu erhalten ihre Pflicht ist, und ihrer Freiheit,
den Mitteln zum Lebensunterhalt, ja der Erhaltung des Lebens selbst. Aber auch
in normalen Zeiten geschieht es, daß sich Menschen plötzlich vor die Wahl
gestellt sehen, eine unumgängliche Pflicht zu verletzen oder sich gefährlichen
und drückenden Opfern und Gefahren für Gesundheit, Besitz, Familie und
gesellschaftliche Stellung auszusetzen. So sind sie in die Zwangslage versetzt,
heldenmütig zu sein und zu handeln, wenn sie ihren Pflichten treu bleiben und
in der Gnade Gottes verharren wollen.
* * *
Als Unsere hochverehrten Vorgänger, und im besonderen
Papst Pius XI. in der Enzyklika Casti
Connubii, die heiligen und unumgänglichen Gesetze des Ehelebens in
Erinnerung riefen, erwogen sie und gaben sie sich durchaus Rechenschaft
darüber, daß in nicht wenigen Fällen von den christlichen Eheleuten wahres
Heldentum gefordert wird. Ob es sich darum handelt, den von Gott gewollten
Zweck der Ehe zu achten, oder darum, den brennenden und verführerischen
Verlockungen der Leidenschaften zu widerstehen, die einem unruhigen Herzen
einflüstern, anderswo das zu suchen, was es in seiner rechtmäßigen Verbindung
nicht gefunden hat oder nicht gänzlich gefunden zu haben glaubt; oder nun
darum, nicht das Band der Seelen und der gegenseitigen Liebe zu zerreißen oder
erschlaffen zu lassen: die Stunde kommt, da es gilt, zu verzeihen, einen Zwist,
eine Beleidigung, eine vielleicht schwere Kränkung zu vergessen. Wie viele
persönliche Dramen entstehen doch, deren Bitterkeiten und Wechselfälle sich
hinter dem Schleier alltäglichen Lebens abspielen! Wie viele geheime
heldenmütige Opfer! Wieviel Kümmernisse, um zusammenzubleiben und sich
christlich auf seinem Platz und bei seiner Pflicht zu behaupten!
Louis und Zélie Martin, Eltern der kleinen hl. Therese |
Und wieviel Seelenstärke fordert dieses Alltagsleben so
oft. Wenn man jeden Morgen wieder an die gleiche, oft harte und in ihrer
Monotonie ermüdende Arbeit gehen muß; wenn man die beiderseitigen Fehler, die
nie überwundenen Gegensätze, die kleinen Verschiedenheiten des Geschmacks, der
Gewohnheiten, der Ideen, zu denen das gemeinsame Leben nicht selten Anlaß gibt,
mit einem Lächeln auf den Lippen freundlich und liebenswürdig ertragen muß;
wenn man sich mitten in oft unvermeidlichen kleinen Schwierigkeiten und
Zwischenfällen nicht die Ruhe und die gute Laune trüben lassen darf; wenn es
bei einer kalten Begegnung gilt, schweigen zu können, zur rechten Zeit die
Klage zurückzuhalten, das Wort zu ändern und zu mildern, das, unbesonnen
ausgestoßen, den gereizten Nerven Luft machen würde, dafür aber schuld wäre,
daß in der Atmosphäre der vier Wände sich eine dunkle Wolke ausbreitete!
Tausend Kleinigkeiten, tausend flüchtige Augenblicke des täglichen Lebens, von
denen jeder nur wenig, fast nichts ist, deren beständige Wiederkehr sie aber
schließlich gefährlich macht und mit denen, in wechselseitigem Leiden, der
Friede und die Freude eines Heims zu einem großen Teil verflochten und verkettet
ist.
Die Familie der kleinen hl. Therese |
Suchet nicht anderswo die Quelle solchen Heldentums! In
den Wechselfällen des Familienlebens wie in allen Verhältnissen des
menschlichen Lebens hat das Heldentum seine wesentliche Wurzel in einem tiefen
und beherrschenden Pflichtgefühl. Mit dieser Pflicht kann man nicht feilschen und
handeln; sie hat den Vorrang vor allem und über alles. Jenes Pflichtgefühl ist für den Christen Bewußtsein und Erkenntnis der
Oberherrschaft Gottes, seiner höchsten Autorität, seiner souveränen Güte.
Dieses Gefühl lehrt, daß der klar geoffenbarte Wille Gottes keine Diskussionen
zuläßt, sondern von allen fordert, sich ihm zu beugen; dies Gefühl lehrt uns
vor allem andern begreifen, daß dieser göttliche Wille die Stimme einer
unendlichen Liebe zu uns ist. So ist es mit einem Wort das Gefühl nicht einer
abstrakten Pflicht oder eines unerbittlichen herrischen Gesetzes, das der
menschlichen Freiheit des Wollens und Handeins feindlich wäre und sie
erdrückte, sondern ein Gefühl, das den Forderungen einer Liebe, einer unendlich
großmütigen, überirdischen und doch die vielerlei Zufälle unseres Erdenlebens
regierenden Freundschaft entspricht und sich ihnen beugt.
Aus der Ansprache Pius XII: an Neuvermählte, 2. August
1941 in „Der Papst sagt“ – Lehren Pius XII., nach den Vatikanischen Archiven
herausgegeben von Michael Chinigo, Verlag Heinrich Scheffler, Frankfurt am
Main, 1955.
Bild: Frontière, in www.katholisches.info, 31.12.2012
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