06.10.2015

Fragen zur Familiensynode 2015 - III

III: Die Kirche und die Familie


15. FRAGE: Schon mehrere Synoden haben sich in der Vergangenheit besonders mit dem Thema Familie beschäftigt. Warum muss das heute noch einmal geschehen?

ANTWORT: Weil die Familie die persönliche, gesellschaftliche und historische Realität jedes Menschen ganz besonders tief prägt. Außerdem ist die Familie nicht nur die Keimzelle der Gesellschaft und das „Heiligtum des Lebens“ sondern auch und vor allem die „Hauskirche“ (Lumen Gentium, Nr. 11).
Die Familie ist heute einem Prozess ausgesetzt, der nicht nur ihre Lebensbedingungen zu verändern droht, sondern auch ihr genetisches Erbe, wie schon mehrere Soziologen gewarnt haben (s. z.B. Pierpaolo Donati, Famiglia: il genoma che fa vivere la società [Familie: das Genom, das der Gesellschaft das Leben ermöglicht], Rubbettino, Soveria Marinelli 2013, Kap. VI). Um diese Gefahr abzuwenden, bemüht sich die Kirche, zu lehren und Studienzentren einzurichten. Doch enttäuschte Beobachter sind der Meinung, dass „wir nun schon seit Jahrzehnten von der ,neuen Evangelisierung‘ reden; die Ergebnisse sind allerdings eher armselig. (…) Die dringende Frage, die wir uns stellen müssen ist: Was fehlt in unseren Bemühungen, wenn wir versuchen, zu evangelisieren und Jesus Christus zu verkünden? Welchen Weg sollen wir einschlagen?“ (Kardinal Velasio De Paolis, Die wiederverheirateten Geschiedenen und die Sakramente der Eucharistie und der Buße, ebda., S. 5 und 29).
Das Wohl der Person sowie der menschlichen und christlichen Gesellschaft ist zuinnerst mit einem Wohlergehen der Ehe- und Familiengemeinschaft verbunden“(Gaudium et Spes, Nr. 47). „Die Evangelisierung wird in Zukunft zu einem großen Teil von der „Hauskirche“ abhängen. (…) Dort, wo eine antireligiöse Gesetzgebung jede andere Form der Glaubenserziehung zu verhindern sucht oder wo verbreiteter Unglaube oder eine uferlose Verweltlichung ein wirksames Wachstum im Glauben praktisch unmöglich machen, bleibt die sogenannte Hauskirche der einzige Ort, an dem Kinder und Jugendliche eine echte Glaubensunterweisung erhalten können“ (hl. Johannes Paul II., Familiaris Consortio, Nr. 52).


16. FRAGE: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Krise der Familie und den Gesetzen, die heute auf der ganzen Welt in Kraft sind?

ANTWORT: Wie ein bekanntes juristisches Sprichwort sagt, „das Gesetz von heute ist der Brauch von morgen“, das heißt, was der Staat heute als legitim festlegt, wird die öffentliche Meinung mit der Zeit als zulässig ansehen. Zum Beispiel schaffen die Gesetze, die die Ehescheidung erlauben, unter den Gläubigen eine Tendenz, die Beständigkeit und Unauflösbarkeit der Ehe zu relativieren. Um ein Verschwinden der natürlichen und sakramentalen Eheschließung zu verhindern, ist es daher notwendig, dass die Katholiken sich der Scheidungsmentalität widersetzen, die durch die bürgerliche Gesetzgebung geschaffen und aufrechterhalten wird.
Prophetisch sind die Worte Papst Leos XIII. anlässlich der gesetzlichen Einführung der Ehescheidung in Frankreich: „Wie viele Übel sich aus den Ehescheidungen ergeben, braucht man kaum zu erwähnen. Durch sie werden die Ehebündnisse wandelbar; die gegenseitige Liebe wird abgeschwächt; der verderblichen Verlockung werden die Schleusen geöffnet; Erziehung und Unterricht der Kinder erleiden Schaden; die häusliche Gemeinschaft beginnt sich zu lockern; in den Familien wird Zwietracht gesät; die Würde der Frau wird geschmälert und erniedrigt, da ihr die Gefahr droht, verlassen zu werden, nachdem sie der Lust des Mannes gedient hat. (…)
Die Zukunft wird es bestätigen, dass dieses Übel zunehmen wird, denn kein Zügel ist stark genug, die einmal gewährte Freiheit der Ehescheidung in bestimmten oder im Voraus festgesetzten Schranken zu halten. Die Macht des schlechten Beispiels ist wahrhaftig groß genug, aber noch größer ist die Macht der Begierden; unter ihrem Einfluss dringt das Verlangen nach Ehescheidungen unbemerkt mit jedem Tage in weitere Kreise und ergreift die große Menge wie eine ansteckende Krankheit oder wie ein seine Dämme durchbrechender Strom“ (Leo XIII., Arcanum divinae Sapientiae, vom 10.2.1880, Nr. 29, 30)
Tatsächlich konnte 135 Jahre später Prof. Dr. Stephan Kampowski, Dozent am Päpstlichen Johannes Paul II. Institut für Studien über Ehe und Familie in Rom, nur bestätigen: „Die bloße Existenz des Rechtsinstituts Scheidung hat viel zur Förderung dieser Haltung beigetragen. Recht hat erzieherische Wirkung. Die einfache Tatsache, dass es das Scheidungsrecht in einer säkularen Gesellschaft gibt, ist ein Zeugnis dafür, dass die staatliche Autorität (…) nicht annimmt, dass die Ehe andauern soll, ,bis dass der Tod uns scheidet‘, sondern dass es sich um eine zeitlich begrenzte Übereinkunft handelt“ (vgl. J.J. Pérez-Soba und S. Kampowski, Das wahre Evangelium der Familie, Media Maria, Illertissen 2014, S. 108).
„Eine zerstörte Familie kann ihrerseits eine spezifische Form von ,Anti-Zivilisation‘ stärken, indem sie die Liebe in den verschiedenen Ausdrucksformen zerstört, mit unvermeidlichen Auswirkungen auf das gesamte soziale Leben.“ (hl. Johannes Paul II.; Gratissimam sane, Brief an die Familien, 2. Februar 1994, Nr. 13).


17. FRAGE: Gibt es außer der Gesetzgebung noch weitere Ursachen für die Krise der Familie?

ANTWORT: Die Krise der Familie ist die Folge eines kulturellen und moralischen Zersetzungsprozesses, der nicht selten dadurch verstärkt wird, dass es in den Familien kein Gebetsleben mehr gibt. Egoismus, Zügellosigkeit, Ehebruch, Scheidung, Abtreibung, Verhütung, künstliche Befruchtung, Sexualerziehung, elterliche Autoritätskrise, Verzicht auf Erziehung, ganz zu schweigen von Pornographie und Drogen – alle diese Faktoren tragen zu einer zunehmenden Zersetzung der Familie bei. Diese Situation ist aber nicht die Folge einer unvermeidlichen und unaufhaltsamen historischen Evolution, sondern das Ergebnis einer tiefgehenden und gezielten moralischen und kulturellen Unterwanderung, verstärkt und gestützt durch die so genannte sexuelle Revolution im Mai 1968, die die Einstellung  „ich mache, was ich will“ und „verbieten ist verboten“ propagierte, also eine „Freiheit“ ohne Regeln und Grenzen.


18. FRAGE: Wirken diese Zersetzungsfaktoren unabhängig voneinander, jeder aus einer eigenen Ursache? Oder sind sie Teil eines Prozesses von Ursache und Wirkung?

ANTWORT: Die neuere Geschichte zeigt, dass die weniger schwerwiegenden Faktoren den gefährlicheren den Weg bereiten. Sie können also nicht getrennt voneinander gesehen werden, sondern sind Phasen eines einzigen Prozesses der Zersetzung, wie die Stufen einer hinabführenden Leiter, die letztendlich zur Zerstörung der Familie führt. Daher stellt jedes Nachgeben gegenüber einem Zersetzungselement nicht eine Barriere, durch die etwas Schlimmeres verhindert werden kann, sondern eine Brücke dar, über die man noch tiefer hineinrutscht. Zum Beispiel hat das Akzeptieren der Ehescheidung die Akzeptanz der zivilen Eheschließungen nicht verhindert, sondern ihnen eher noch den Weg bereitet.
„Zwar lassen sich nicht alle Vertreter der neuen Lehren zu den letzten Folgerungen einer ungezügelten Leidenschaft fortreißen. Einige suchen gleichsam auf halbem Weg stehen zu bleiben und meinen, nur in gewissen Punkten des Gesetzes Gottes und der Natur müsse man der heutigen Zeit einige Zugeständnisse machen. Aber auch sie sind, mehr oder weniger bewusst, Sendlinge jenes unerbittlichen Feindes, der Unkraut unter den Weizen zu säen sucht“ (Papst Pius XI., Enzyklika Casti Connubii, vom 31.12.1930).


19. FRAGE: Wäre es dann nicht angebracht, wie in der Synode erwähnt, die Notwendigkeit einer Evangelisierung hervorzuheben, die offen die kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten anprangert“, die die Familie zerstören (Relatio post disceptationem, Nr. 38)?

ANTWORT: Ohne die Bedeutung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme unterschätzen zu wollen, ist es wichtig, sich darüber klarzuwerden, dass die Wurzeln der Krise der Familie hauptsächlich im religiösen und moralischen Bereich liegen.
Sowohl bei der Analyse der Situation als auch bei der Wahl von Lösungen ist vor allem darauf zu achten, dass die Kriterien der Lehre und Moral nicht durch empirische Kriterien – zum Beispiel soziologische – ersetzt werden. Dadurch könnte nämlich das pastorale Programm verfälscht werden und der falsche Eindruck entstehen, dass man die Krise der Familie durch eine sozialökonomische Reform lösen kann.


20. FRAGE: In der Relatio post disceptationem der Synode kann man lesen: Schließlich sind die Lebensgemeinschaften ohne Trauschein sehr zahlreich, nicht wegen einer Ablehnung der Werte der Familie und Ehe, sondern vor allem, weil die Eheschließung einen Luxus darstellt, so dass die materielle Not die Menschen zu solchen Lebensgemeinschaften drängt“ (Nr. 42). Bestätigt das nicht die Verantwortung der wirtschaftlichen Verhältnisse für die heutige Krise der Familie?

ANTWORT: In Wirklichkeit hatte das Phänomen des unverheirateten Zusammenlebens seinen Anfang in den wohlhabenden und gebildeten Schichten, die ideologisch eher fortschrittlich eingestellt waren und daher die Eheschließung als einen „kleinbürgerlichen Brauch“ ablehnten. Das Aufkommen der „Lebenspartnerschaften“ war daher nicht von wirtschaftlichen Faktoren bestimmt, sondern eher von einer Ideologie, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, die Familie als Sinnbild der Tradition zu bekämpfen. Diese von den Massenmedien propagierte Ablehnung hat mit der Zeit einen Prozess ausgelöst, der alle Bereiche der Gesellschaft durchdrungen hat.
„Die Zeit, in der wir leben, macht die Tendenz zu einer Beschränkung des Familienkerns auf den Umfang von zwei Generationen offenkundig. Dies hat seinen Grund oft in dem nur beschränkt vorhandenen Wohnraum, insbesondere in den großen Städten. Nicht selten liegt es aber auch in der Überzeugung begründet, mehrere Generationen zusammen störten die Vertraulichkeit und erschwerten zu sehr das Leben“ (hl. Johannes Paul II., Gratissimam sane, Brief an die Familien, vom 2. Februar 1994, Nr. 10).


21. FRAGE: Heißt das, dass die Krise der Familie weniger durch soziologische als durch psychologische Faktoren verursacht wurde, also durch „ein narzisstisches, instabiles und veränderliches Gefühlsleben, das dem Einzelnen nicht immer hilft, zu reifen“ (Relatio Synodi, Nr. 10)?

ANTWORT: Diese abnormen psychologischen Faktoren sind weniger der Ursprung der Familienkrise als deren Symptome. Ihre Heilung verlangt eine korrekte Sicht des Menschen, seines geistlichen Lebens, seiner übernatürlichen Bestimmung. Ohne auf die Anwendung natürlicher Hilfsmittel zu verzichten, muss die pastorale Lösung der gegenwärtigen Krise sich zuallererst auf die Glaubenswahrheiten und auf die Übung der übernatürlichen Tugenden begründen. Wir werden noch auf diesen Punkt zurückkommen.

Quelle: 
„Vorrangige Option für die Familie“
100 Fragen und 100 Antworten im Zusammenhang mit der Synode
von S.E. Erzbischof Aldo di Cillo Pagotto SSS, S.E. Bischof Robert F. Vasa und S.E. Weihbischof Athanasius Schneider

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