10.11.2011

Stefano Bellesini, Apostel der Mutter vom Guten Rat


Willy Gattermann

Die Zeremonie im Peterdon am 27. Dezember 1904 mit Anwesenheit des hl. Papstes Pius X. war von besonderer Bedeutung: Es würde der erste Pfarrer moderner Zeiten seliggesprochen werden. Dementsprechend feierlich war der Rahmen und zahlreich die Liste der teilnehmenden Würdenträger. Stefano Bellesini, von 1831 bis zu seinem Tod am 2. Februar 1984 war Pfarrer des Heiligtums der „Mutter Gottes vom Guten Rat“ im Städtchen Genazzano östlich von Rom.

Und dabei könnte man meinen, daß das Leben des Seligen rein menschlich ein Abstieg war. Er starb als einfacher Pfarrer, nachdem er – nach weltlichem Urteil gemessen-, Karriere gemacht hatte. Doch das wäre eine oberflächliche Beobachtung: Als Pfarrer des Heiligtums der „Mutter Gottes vom Guten Rat“ ging er eng verbunden mit dem Gnadenbild der Muttergottes in die Geschichte ein. Mit diesem Gnadenbild wurde er in den letzten Jahren seines Lebens eins, dermaßen groß und innig war seine Liebe und Verehrung zu ihm. So gesehen war sein Leben kein Abstieg, sondern ein Aufstieg hin zu einer immer größeren Vereinigung mit der Muttergottes, zu der er sich geweiht hatte.

Das Heiligtum war zu seiner Zeit allerdings kein kleiner Wallfahrtsort, sondern der meistbesuchte in Italien nach Loreto.

Wer war Stefano Bellesini, was machte er ihn zu einer so besonderen Person?

Sehr früh spürte er seine Berufung zum Priester und als er 16 wurde, im Jahr 1790, traf er die Entscheidung. Seine Mutter unterstütze und so konnte er sich mehrere Jahre auf seinen Eintritt bei den Augustiner-Eremiten vorbereiten. Im Jahr 1793 wurde er Novize, inmitten der Wirren der Napoleonischen Kriege, die zu diesem Zeitpunkt auch die italienische Halbinsel erreicht hatten. Seine Profeß legte er am 31. Mai 1794 ab. Die politischen Umwälzungen in Europa wirkten sich direkt auf das Leben des Seligen aus. So wurde das Augustinerkloster in Bologna von den Truppen geschlossen. Schließlich wurde er am 5. November 1797 zum Priester geweiht. Er brauchte hierzu einen päpstlichen Dispens, da er keine 23 Jahre alt war! Er war zwar ein überragender Schüler, doch auch die geradezu apokalyptischen Zustände zwangen zu einer schnellen Weihe: Kurz davor war der Kirchenstaat von französischen Truppen besetzt worden. Napoleon verlangte im Friedensvertrag von Tolentino eine horrende Kriegsentschädigung, woraufhin die Plünderung von Kirchen und Klöstern im gesamten Kirchenstaat begann. Außerdem verlor der Kirchenstaat wichtige Gebiete, was die Säkularisation mit den Klosterschließungen und Enteignungen begünstigten.

Unser Seliger wurde aber zunächst noch von diesen schlimmen Ereignissen verschont und konnte in Ruhe immer tiefer in den Geist seiner Berufung zum Augustiner-Eremiten nach der Regel des heiligen Augustinus eindringen. Auf diese Weise bereitete er sich auf die Prüfung, die bald auf ihn zukommen würden.

Denn bald erreichte die Welle der Gottlosigkeit und der Kirchenverfolgung auch sein Kloster in Trient. Dieser wurde im Jahr 1809 aufgelöst. Manche Mönche, darunter auch Bellesini, konnten da noch leben, aber sie bildeten keine Klostergemeinschaft mehr. Doch auch dieser kleine Rest wurde ihnen bald weggenommen und sie mußten wegziehen. Die Schilderungen über die Klosterschließungen aus dieser Zeit sind herzzerreißend. Die Chronisten berichten, wie viele Mönche, manche schon sehr krank und alt, nur durch betteln überleben konnten. Manche fromme Familien erbarmten sich dieser geweihten Männer und Frauen und „adoptierten“ sie. Stefano Bellesini war ein solches Schicksal erspart und konnte zum Haus seiner Familie ziehen. Doch für die Seele ist das nicht minder ungefährlich: Wie soll er seiner Berufung zum, Ordensleben treu bleiben, wie konnte er weiterhin seinen priesterlichen Dienst leisten, wie sollte er den Versuchungen der Welt, vor die er im Kloster geschützt war, widerstehen?

Viele Mönche, die in eine ähnlich günstige Situation wie unser Seliger und nicht in bitterste Armut leben mußten wählten ein gemütliches Leben und versuchten, möglichst sorgenlos zu überleben. Sie richteten sich in eine Wohnung ein und „schoben eine ruhige Kugel“ wie man heute sagen würde.

Stefano Bellesini, der seinem Ruf zur Heiligkeit treu geblieben war, dachte nicht daran, die Gemütlichkeit zu suchen: Die Verfolgung der Kirche führte dazu, daß die Schwächsten völlig schutzlos blieben und sich keine um sie kümmerte. Insbesondere die armen Kinder litten unter dieser Verwahrlosung und wurden Opfer des neuen atheistischen Zeitgeistes. Bellesini erkannte die Nöte seiner Zeit und entschloß sich, diese Kinder – heute würde man Straßenkinder sagen – zu erziehen, zu ernähren und zu kleiden. So wollte er sie materiell helfen, indem sie ernährt und erzogen werden, aber auch geistlich, indem sie nicht vom Atheismus und sonstige kirchenfeindliche Ideologien angesteckt werden.

Die Vorsehung segnete sein Wirken und immer mehr Kinder liefen zu ihm hin, um von ihm betreut zu werden. Hierfür verwendete er sein ganzes Geld – in Trient erhielten die Mönche nach der Säkularisierung eine Art Sozialhilfe – und sammelte spenden. Später widmete er sein eigenes Haus in eine Schule um.

Großzügige Herzen halfen ihm in seinem Apostolat, so daß er diesen mehr und mehr vergrößern konnte. Hiermit zog er den Neid anderer Schulen auf sich und auch das Mißtrauen der neuen Autoritäten, doch schließlich sahen sie ein, daß er ihnen Probleme mit den rumlungernden Kindern vom Hals verschaffte, und entschlossen sich sogar, ihn finanziell zu unterstützen, wenn auch halbherzig und immer wieder mit Verzögerungen – Der Kampf um das Geld für sein Werk blieb sein ständiger Begleiter.

Doch weder Geldnöte, Neid noch Verleumdungen konnten stellten ein wirkliches Hindernis dar, so daß er schließlich für Tausende von Kindern in gesamten gebiet – dem Trentino – zuständig war.

Nach der Niederlage Napoleons wurde er dann zum Generalschulinspektor ernannt – er, der ein einfacher Mönch im Geiste des heiligen Augustinus sein wollte, hatte nun Karriere gemacht und war ein angesehener Mann geworden. Im Grunde genommen mußte er nur so weitermachen um später dann seinen Ruhestand in einem ruhigen Platz dieser wunderschönen Gegend zu genießen.

Aber unser Seliger dachte nicht so: Er hatte in den vielen Jahren seine Berufung zum Augustinermönch nicht vergessen, wie viele andere die, aus dem Klosterleben erstmal entlassen, kaum noch willig waren, sich den Regeln einer Klostergemeinschaften zu unterwerfen.

Nach dem Wiener Kongreß wurde der Kirchenstaat vollends wieder eingerichtet. Eine der ersten Maßnahmen des Papstes Pius VII. war, die Orden wieder herzustellen. Für Stefano Bellesini war damit der Zeitpunkt gekommen, Trient zu verlassen und nach Rom zu ziehen.

Aus heutiger Perspektive könnte man argumentieren, daß sein Entschluß falsch gewesen sei. Er hatte ein großes Werk aufgebaut, wieso sollte er diese verlassen? Schließlich sei die Erziehung der Kinder auch sehr wichtig und diese waren in den Händen unseres Seligen gut aufgehoben. Wieso also gehen?

Bellesini hatte aber mit einem Eintritt in den Augustinerorden eine Berufung gefolgt, die ihm Gott gegeben hatte. Gott selbst wollte, daß er ein Augustinermönch sei. Gott selber hatte bestimmt, daß er sein Leben in ein Kloster verbringt und nicht als Erzieher. Zu Erziehern hatte er andere bestimmt, aber nicht den Seligen Bellesini, zumindest nicht für immer und in einem Rahmen außerhalb seines Klosters. Da nun nur im Kirchenstaat die Klöster wider hergerichtet wurden und er deshalb nur dort seine Mönchsberufung erfüllen konnte, mußte er aus Trient wegziehen.

Es gibt aber auch ein weiteres, nicht minder wichtiges Argument: Die Klöster – gerade im Kirchenstaat aufgrund der Besetzung durch die revolutionären Truppen – waren lange geschlossen gewesen. Eine Wiederherrichtung war keineswegs eine leichte Aufgabe. Und Mönche waren außerordentlich wichtig und notwendig in einer Zeit, in der die Französische Revolution im geistigen leben der Menschen und der Völker gewütet hatte. Stefano Bellesini war aufgrund seiner Erziehertätigkeit geradezu prädestiniert, die neuen Novizen auszubilden und Novizenmeister zu werden.

Die Autoritäten des Trentinos – mittlerweile waren es Österreicher – wollten ihn nicht losgehen lassen und boten ihm mehr Geld und einen hören Titel an. Das waren aber für den Seligen Stefano keine Verlockungen, sondern schlichte Versuche, ihn von seiner Berufung abzubringen. So flüchtete er – er selbst benutzte dieses Wort – aus Trient nach Rom. Die Regierung verbannte ihn daraufhin: Das ist der Lohn der Welt für die Verdienste eines heiligen Mannes!

In den Augustinerklöstern von Rom und später Genazzano wurde er Novizenmeister, für den Seligen lediglich eine neuen Quelle von Leiden. Seine Oberen malträtierten ihn immer wieder mit Schlägen, Ohrfeigen, Beschimpfungen und sonstige Demütigungen – selbst gegenüber den Novizen. Stets reagierte er mit heiligmäßiger Demut: Selbst bei offensichtlicher Ungerechtigkeit seitens seiner Prioren kniete er nieder und bat um Entschuldigung für seine Fehler. Gegenüber seinen Novizen zeigte er eine engelsgleiche Geduld. Dabei war er – wie Zeugen aus seiner Kinder und Jugend berichten – von Natur aus zu Wutausbrüchen, die er stets bezähmen mußte. Besonders schwierige Fälle von Novizen „bearbeitete“ er mit Gebeten und Opfern. So berichten junge Augustiner, die ihn ausspioniert hatten, daß er nächtelang wach blieb und betete, sein Bett kaum benutzten und sein Hemd oft blutdurchtränkt war wegen des Tragens eines Bußgürtels.

Im Jahr 1831 wurde er dann Pfarrer des Heiligtums in Genazzano. Er blieb aber weiterhin Erzieher und führte Einrichtungen ein, die heute als selbstverständlich erscheinen. So bereitete er katechetisch Verlobte für den Sakrament der Ehe. Nach der Taufen erteilte er den Eltern und den Taufpaten unterricht über die Pflichten, das Kind christlich zu erziehen.

Als Pfarrer fühlte er sich für das geistliche Wohl aller Dorfbewohner zuständig. Wenn er Streit hörte – in einem Dorf mit so engen Gassen wie Genazzano nicht schwierig – besuchte oder rief er Streitenden zu sich und stellte den Frieden her. Wenn er von einem Skandal erfuhr, ermahnte er den Sünder und bewirkte nicht selten eine Bekehrung.

Aber sein Apostolat für die Seelen geschah insbesondere im Stillen: Stundenland hörte er Beichte und täglich laß er die Messe in der Kapelle mit dem Gnadenbild der „Mutter vom Guten Rat“. Hinzu kamen die vielen Gebete: Rosenkranz, Engel des Herrn, Weihe an die Muttergottes usw. usw. usw.

Die letzten Jahre vor seinem Tod am 2. Februar 1840 prägten das Bild des Seligen, das wir heute von ihm haben: Der Pfarrer des Gnadenbildes der „Mutter vom Guten Rat von Genazzano“. So sehr vereinigt war er aufgrund seiner Weihe zur Gottesmutter, so viele Jahre verweilte er neben ihrem Gnadenbild, so sehr prägte sich das Bild der „Mutter vom Guten Rat“ in sein Herz ein, daß er fast immer mit ihr zusammen so dargestellt wird.

Folgen wir Stefano Bellesini in seinem Weg in den Himmel. Weihen auch wir uns immer wieder der Muttergottes, lassen wir uns immer von ihrem Rat führen, tauschen wir unser armseliges und sündhaftes Herz mit ihrem Herz aus.

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