13.03.2025

Die Fastenzeit vom Ende her gedacht

 Pater Gerd Heumesser

 Zusammenfassung

An Ostern feiern wir nicht nur die leibliche Auferstehung Christi, sondern auch unsere eigene geistige Auferstehung, die uns mit der heiligmachenden Gnade belebt und so in ein neues Leben versetzt. Die besondere Gnade des Osterfestes besteht darin, dass wir jedes Jahr ein Stückchen mehr geistig auferstehen, also in der heiligmachenden Gnade wachsen. Darum hat Christus gelitten und ist gestorben, um uns ein Stückchen göttlichen Lebens zu schenken.

Die Fastenzeit ist dazu da, uns auf diese Gnade vorzubereiten. Wir können uns darauf auf drei verschiedenen Wegen vorbereiten. Erstens, wenn wir die Hindernisse der Gnade wegräumen, vor allem die Sünde und das weltliche Denken. Zweitens, indem wir die Gnade nutzen, die wir bereits erhalten haben, also bewusst aus der heiligmachenden Gnade leben und die Liebe zu Gott üben bei allem, was wir tun. Drittens, wenn wir uns mit dem Leiden Christi verbinden, denn, wenn wir mit ihm leiden, werden wir auch mit ihm auferstehen. Darum verbinden wir uns mit seinem Leiden durch die Betrachtung, dadurch, dass wir auch etwas ertragen zusammen mit dem Herrn, und durch die andächtige Mitfeier der heiligen Messe. So machen wir uns bereit, an Ostern wirklich ein Stückchen mehr geistig aufzuerstehen.

Der Sinn der Fastenzeit

Nach allgemeinem christlichem Brauch liegen die vierzig Tage der Fastenzeit vor dem Osterfest. Auch zu anderen Zeiten des Jahres könnte man mit gutem Grund fasten. Man könnte sagen: Ich will das Fasten Christi nachahmen. Christus aber hat direkt nach seiner Taufe gefastet. Dann müsste die Fastenzeit nach der Feier der Taufe Jesu beginnen. Und tatsächlich gab es Zeiten in der Geschichte der Kirche, wo man an Epiphanie, dem liturgischen Gedenken der Taufe Jesu, mit dem Fasten begann. Doch nicht diese vierzig Tage haben sich in der Christenheit als allgemeine Fastenzeit durchgesetzt, sondern die vierzig Tage vor Ostern. Und das aus gutem Grund.

Thomas von Aquin begründet es mit ganz grundsätzlichen Überlegungen (II.II. 147.8). Das Fasten soll zweierlei bewirken: Es soll die Sünden tilgen und die Seele erheben. Darum fastet man am besten zu der Zeit, in der die Christen besonders gereinigt werden müssen von der Sünde und in der sie ihre Seele besonders zu Gott erheben sollen. Beides ist vor Ostern am dringendsten. Denn an Ostern feiern wir eine zweifache Auferstehung: die leibliche Auferstehung Christi und unsere geistige Auferstehung, die wir erstmals bei unserer Taufe erfahren haben. Unsere Taufe nennt der hl. Paulus eine Auferstehung (Röm 6,4.11; Kol 2,12;), weil wir hier neu belebt wurden durch die heiligmachende Gnade. Sie ist ein Stückchen göttliches Leben, durch das wir geistig von Gott auferweckt, also wieder lebendig gemacht wurden.

Was feiern wir an Ostern?


Die leibliche Auferstehung Christi und unsere geistige Auferstehung haben sehr viel Gemeinsames, so viel, dass es sich geradezu aufdrängt, beide in einer gemeinsamen Feier zu begehen. Die leibliche Auferstehung Christi ist das Urbild unserer geistigen Auferstehung. Wenigstens sechs Parallelen drängen sich auf.

Auferstehung schenkt eine neue Existenzweise

Erstens: Christi Menschheit wurde bei seiner Auferstehung in ein ganz neues Sein umgewandelt. Es ist keine weltliche Existenzweise mehr, sondern eine himmlische und das so sehr, dass der Auferstandene gar nicht mehr richtig zu dieser Welt hier passt. Darum fuhr der Auferstandene in den Himmel auf, weil sein auferstandener Leib viel eher zum Himmel passt als zu dieser Erde. Der Leib des Auferstandenen hatte nicht einfach lediglich neue Fähigkeiten erhalten, so dass er jetzt blitzschnell von Emmaus nach Jerusalem kommen konnte, sondern sein ganzes Wesen ist durch die Auferstehung verwandelt worden. Seine neuen Fähigkeiten haben ihre Wurzel in seinem umgewandelten Wesen.

Ähnlich wandelt unsere geistige Auferstehung durch die heiligmachende Gnade unsere Seele um zu einem neuen Sein. Wir erhalten eine neue Existenzweise, nicht nur neue Eigenschaften. Der hl. Thomas betont, dass die heiligmachende Gnade das Wesen der Seele erhebt. Gott heftet uns nicht bloß äußerlich eine paar Fähigkeiten an, die die Fähigkeiten unserer Seele übersteigen, sondern er erhebt unsere ganze Seele, so dass die Fähigkeiten dem Inneren entsprechen. Thomas erklärt das mit einem Vergleich aus der Natur. Kein Lebewesen hat Eigenschaften, die nicht zu seinem Wesen passen. Gott heftet nicht einer Maus Flügel an und sagt dann zu ihr: Fliege jetzt! Sondern Gott erschafft die Vögel, die von ihrem ganzen Wesen her aufs Fliegen ausgerichtet sind. Ihr Knochenbau, ihre Verdauungsorgane sind optimal ans Fliegen angepasst. Sie werden nicht trächtig, sondern legen Eier, so können auch werdende Mütter problemlos fliegen. So schenkt uns Gott im geistigen Bereich nicht bloß die Fähigkeiten, dass wir Gott jetzt lieben können, dass wir uns den Himmel verdienen können usw., sondern er erhebt unser ganzes Wesen durch die heiligmachende Gnade auf ein übernatürliches Niveau. Darum ist die Begnadigung eine geistige Auferstehung.

Auferstehung ist ganz und gar übernatürlich

Zweitens: Die leibliche Auferstehung Christi war jenseits von allem, was die Natur von sich aus kann, unter rein natürlichem Gesichtspunkt ist sie ganz und gar unerklärlich. Sie war ein direktes Eingreifen Gottes in den Lauf der Natur.

Auch unsere geistige Auferstehung durch die Gnade steht ganz und gar über allem, was die Natur von sich aus kann. Kein Geschöpf kann sich die Gnade geben. Niemand kann sagen: Ich kann die Gnade nicht selber produzieren. Wir können nicht sagen: Wenn mir dies oder das gelingt, dann wird mir automatisch die Gnade gegeben. Die Gnade ist immer das Ergebnis vom Wirken Gottes.

Auferstehung macht geistähnlich

Drittens: Die Auferstehung Christi hat seinen Leib geistähnlich gemacht. Der Leib des Auferstandenen ist zwar noch ein Leib, aber ein Leib mit geistähnlichen Eigenschaften. Er kann blitzschnell von einem Ort zum anderen kommen. Er kann sein Aussehen ändern, wie es die Seele will. Durch die Auferstehung wurde der Leib Christi gewissermaßen vergeistigt.

Auch wir wurden durch unsere geistige Auferstehung vergeistigt. Wir sollen nicht mehr im Fleische wandeln, sondern im Geist, nicht so, wie es die sinnlichen Triebe wünschen, sondern so, wie es für die Seele gut ist. „Wandelt im Geiste“, sagt Paulus, „dann werdet ihr nicht die Gelüste des Fleisches vollbringen.“ (Gal 5,16)

Auferstehung macht unsterblich

Viertens: Seit seiner Auferstehung ist der Leib Christi unsterblich. Er ist so dem Tod entrissen, dass er nie mehr sterben kann. Unsere geistige Auferstehung schenkt unserer Seele ewiges Leben. Wer die heiligmachende Gnade im Herzen trägt, ist dem ewigen Tod entrissen. Er wird ihm nicht verfallen, solange er göttliches Leben in sich trägt.

Auferstehung macht herrlich

Fünftens: Der Leib Christi wurde durch seine Auferstehung herrlich, verklärt, strahlend. Der Auferstandene ließ diese Herrlichkeit zwar nicht immer aufleuchten, aber grundsätzlich war sie da. Unsere geistige Auferstehung macht unsere Seele herrlich. Diese Herrlichkeit nehmen wir zwar nicht wahr –abgesehen von wenigen Heiligen, die die Herrlichkeit einer begnadeten Seele sehen durften –aber sie ist trotzdem real da. Die Herrlichkeit einer begnadeten Seele ist so groß, dass Thomas es für ein größeres Werk hält, wenn Gott einer Seele die heiligmachende Gnade schenkt, als wenn er alle Schönheiten des Universums erschafft. (I.II.113,9ad2).

Auferstehung schenkt Frieden und Ruhe

Und sechstens trat Christus durch seine Auferstehung in einen Zustand des Friedens und der Ruhe ein. Keine Angriffe und keine Schwierigkeiten können den Auferstandenen Herrn erreichen. Er lebt in ungestörter Ordnung.

Durch unsere geistige Auferstehung treten auch wir in einen Zustand der Ruhe ein. Eine Seele im Gnadenstand hat Frieden mit Gott; sie ist mit ihm versöhnt, sie hat Frieden mit sich selbst, weil der Geist über das Fleisch herrscht, und sie hat Frieden mit den Nächsten.

Da also die leibliche Auferstehung Christi das Urbild unserer geistigen Auferstehung ist, ist es klar, dass wir an Ostern beide Auferstehungen feiern.

Bei Christus plötzlich –bei uns nach und nach

Neben diesen Gemeinsamkeiten unterscheiden sich diese beiden Auferstehungen aber in einem zentralen Punkt: Die leibliche Auferstehung Christi war in einem einzigen Augenblick vollendet. Der Leib Christi war nicht zuerst nur ein bisschen lebendig und wurde dann mit der Zeit immer lebendiger, sondern erhielt im Augenblick seiner Auferstehung seine ganze Lebensfülle.

Ganz anders verläuft unsere geistige Auferstehung. Im Augenblick unserer Taufe erhielten wir zwar ein Stückchen göttliches Leben und wurden dadurch in eine neue Existenzweise umgewandelt. Aber wir erhielten nicht die ganze Fülle göttlichen Lebens, die Gott für uns vorgesehen hat. Gott will sie uns nach und nach schenken und wir sollen dabei mitwirken. Mit anderen Worten: Wir können immer noch weiter auferstehen, immer noch ein weiteres Stück göttlichen Lebens erhalten. Bei den Heiligen ist das offensichtlich. Sie haben die Gnade, die sie bei ihrer Taufe empfangen haben, immer weiter wachsen lassen, so dass sie am Ende ihres Lebens offensichtlich mehr vom göttlichen Leben erfüllt waren als bei ihrer Taufe.

Die Gnade des Osterfestes

Wie jedes Fest im Kirchenjahr, so bietet auch das Osterfest seine eigenen Gnaden, die wir bei der Festfeier annehmen können, denen wir uns aber auch durch mangelnde Bereitschaft verschließen können. Die besondere Gnade des Osterfestes ist es, uns ein weiteres Stück geistig auferstehen zu lassen. Mit jedem Ostern sollte eine neue Portion göttlichen Lebens unsere Seele beleben, so, dass wir nach jedem Osterfest geistig ein Stück lebendiger geworden, also ein Stückchen mehr geistig auferstanden sind.

Für diese Gnade müssen wir uns bereitmachen, und das ist der Sinn der Fastenzeit. Vor allem auf drei verschiedene Weisen machen wir unsere Seele bereit für die Gnade des Osterfestes.

Hindernisse wegräumen

Wir beseitigen die Hindernisse, die dem nächsten Schritt unserer geistigen Auferstehung im Wege stehen. Geistige Auferstehung bewirkt das genaue Gegenteil zur Sünde. Die Sünde raubt das göttliche Leben, die geistige Auferstehung schenkt es uns. Deshalb ist es passend, dass wir uns jedes Jahr auf diese Feier dadurch vorbereiten, dass wir unsere Sünden durch Bußwerke tilgen.

Da Christus durch seine leibliche Auferstehung in die himmlische Sphäre erhoben wurde und wir durch unsere geistige Auferstehung in die übernatürliche Welt eingetreten sind, ist es auch von größter Wichtigkeit, bei der Feier dieser Geheimnisse unsere Seele in Andacht über das Weltliche zu erheben und auf die himmlischen Dinge auszurichten. Darum wenden wir uns in der Fastenzeit ausdrücklich vom Weltlichen ab und richten uns neu auf Christus aus, um uns so auf die Gnade unserer geistigen Auferstehung vorzubereiten. Hierzu dienen die drei uralten Übungen des Fastens, des Betens und des Almosengebens. Wer sich in der Nahrung einschränkt, tut Buße für seine Sünden und wendet sich von den weltlichen Genüssen ab, ebenso, wer Almosen gibt. Wer betet, erhebt seinen Geist zu den himmlischen Dingen.

Die bisherige Gnade nutzen

Daneben gibt es noch eine andere Weise, unsere Seele auf das Osterfest vorzubereiten, nämlich bewusst aus der heiligmachenden Gnade zu leben. Menschen, die uns gerne eine Gabe geben, werden dennoch nichts geben, wenn sie sehen, dass wir die früheren Gaben nicht genutzt haben. Wer einem Studenten ein Stipendium gewährt hat, wird ihm kein weiteres gewähren, wenn dieser die Zeit nicht zum Studium genutzt hat. Wer gerne anderen ein Stück Kuchen schenkt, wird keines mehr schenken, wenn er erfährt, dass das letzte noch nicht gegessen wurde. Bei Gott ist das so ähnlich. Er wird uns keine weiteren Gnaden schenken, wenn wir die bisherigen nicht genutzt haben.

Darum sollten wir uns auf die Gnaden des Osterfestes dadurch vorbereiten, dass wir die uns schon verliehene heiligmachende Gnade bewusst nutzen. Wie aber nutzt man die heiligmachende Gnade ganz bewusst? Die heiligmachende Gnade ist Anteilnahme an der Natur Gottes (2 Petr 1,4), Anteilnahme am Leben Gottes. Gott ist Geist, und darum lebt er nicht dadurch, dass sein Herz schlägt und die Lunge atmet, sondern er lebt dadurch, dass er erkennt und liebt. Anteilnahme am Leben Gottes heißt also teilnehmen am Erkennen und Lieben Gottes. Wir nutzen also die heiligmachende Gnade, wenn wir die Liebe zu Gott üben, denn dann nehmen wir bewusst an der Liebe Gottes teil.

Vorbereitung auf Ostern bedeutet also, die gewohnten Dinge mit mehr Liebe tun. Zur Liebe aber gehört nach der Auskunft des hl. Thomas zweierlei: Das Wohlwollen und das Sich-Verbunden-Fühlen (unio affectus). Erst wenn beides da ist, kann von wirklicher Liebe die Rede sein. Eines allein reicht nicht. Das Wohlwollen allein reicht nicht für die Liebe, denn wir können z.B. einer Partei den Sieg wünschen, ohne sie zu schätzen, weil wir den Sieg einer anderen Partei verhindern wollen. Dann wünschen wir der Partei zwar etwas Gutes, den Sieg, wollen für sie also das Gute, aber mit Liebe hat das nichts zu tun, weil wir uns mit ihr nicht verbunden fühlen. Auch das Sich-Verbunden-Fühlen allein reicht nicht aus. So kann es geschehen, dass zwei Eheleute, die sich mit der Zeit fremd geworden sind, sich noch verbunden fühlen, weil sie wissen: wir gehören zusammen. Wenn sie aber kein Wohlwollen mehr zueinander haben, kann von Liebe nicht die Rede sein.

Wenn wir also die Gottesliebe üben wollen, um so die heiligmachende Gnade bewusst zu nutzen, dann müssen wir Gott Wohlwollen entgegenbringen. Wir sollten uns also für seine Ehre einsetzen, sein Lobsingen und beten, dass sein Wille geschehe, dass sein Reich komme. Und wir sollten uns mit ihm verbunden fühlen. Wir sind ja auch tatsächlich mit ihm verbunden durch die heiligmachende Gnade, das Leben Gottes in uns. Daran sollten wir bei allem, was wir tun, immer wieder bewusst denken, und in Verbundenheit mit Gott handeln. Wir können uns mit Gott auch deshalbverbunden fühlen, weil wir zum mystischen Leib Christi gehören, seine Glieder sind und der Gottessohn unser Haupt ist.

Bei unserer Arbeit können wir daran denken, dass wir nicht alleine als bloße Menschen handeln, sondern dass durch die heiligmachende Gnade Gott in uns lebt und mit uns handelt. Was wir jeden Tag tun, ist durch die heiligmachende Gnade auf Gott ausgerichtet. Viele Theologen sagen, dass unser Tun schon allein deshalb vor Gott einen Wert hat, weil wir die heiligmachende Gnade in unserem Herzen tragen. Auch wenn wir nicht bewusst an Gott denken, sind wir mit unserem Sein und Tun durch die Gnade auf Gott ausgerichtet. Das zeigt, wie die heiligmachende Gnade uns wirklich mit Gott verbindet. Viel verdienstlicher aber handeln wir, wenn wir uns zusätzlich bewusst sagen, dass wir jetzt arbeiten, um Gott unsere Liebe zu zeigen.

Uns mit dem Leiden Christi verbinden

Die dritte Weise, uns auf die Gnaden des Osterfestes vorzubereiten, ist die bewusste Verbindung mit dem Leiden Christi. Das Leiden Christi ist die Quelle unseres geistigen Lebens. Wir können nur deshalb ein Stückchen vom Leben Gottes in unserer Seele tragen, weil Christus uns dieses durch seinen Tod verdient hat. Es ist eine grundlegende Überzeugung der Christenheit, dass wir nur dann etwas von dem erhalten, was Christus uns durch sein Leiden verdient hat, wenn wir uns mit dem Leiden Christi irgendwie verbinden. Wir müssen mit dem Leiden Christi irgendwie verwachsen, damit wir dann auch mit seiner Auferstehung verwachsen sind (vgl. Röm 6,5); erst wenn wir mit Christus gestorben sind, werden wir auch mit ihm auferstehen (vgl. Röm 6,8). Diese Verbindung mit dem Leiden Christi können wir auf unterschiedliche Weise herstellen.

Durch den Glauben und die Betrachtung

Zuallererst durch den Glauben. Wer unverbrüchlich daran festhält, dass Christus durch sein Leiden den gegen uns gerichteten Schuldschein vernichtet hat, dass wir durch den Tod des Gottessohnes mit Gott versöhnt wurden (vgl. Röm 5,10), dass er unsere Sünden an seinem Leib auf das Holz hinaufgetragen hat, damit wir der Gerechtigkeit leben (vgl. 1 Petr2,24); dass wir durch seine Wunden geheilt wurden (Is 53,6), dass das Blut Jesu uns rein macht von allen unseren Sünden (1 Joh 1,8), der kann die Früchte des Leidens Christi empfangen. Diesen Glauben können wir besonders pflegen, wenn wir das Leiden Christi betrachten. Wenn wir den leidenden Herrn vor unser geistiges Auge stellen, uns in sein Leiden hineindenken und mit ihm mitleiden, dann verbinden wir uns mit seinem Leiden und machen uns bereit, auch an dessen Früchten teilzuhaben.

Durch das Mitleiden mit Christus

Eine andere Weise, sich mit dem leidenden Herrn zu verbinden, ist es, selbst etwas zu leiden. Beim Fasten den Hunger zu ertragen, dient nicht nur dazu, Buße zu tun für die Sünden, sondern ist auch bewusste Teilnahme am Leiden Christi. Der Herr leidet, auch ich will mit ihm etwas leiden. Den Christen im Mittelalter war dieser Gedanke präsent. Die einzige Mahlzeit an Fasttagen wurde im 13. Jahrhundert erst um 15:00 Uhr eingenommen. Thomas begründet es damit, dass Christus bis 15:00 Uhr gelitten hat. Mit seinem Tode hat er ausgelitten. Darum wollten die Christen auch bis 15:00 Uhr den Hunger leiden, um sich so mit dem leidenden Herrn zu vereinen.

Die Christenheit war überzeugt, dass wir uns mit dem Leiden Christi verbinden müssen, wenn wir von seinen Früchten etwas erhalten wollen. Die Taufe verbindet uns symbolisch, aber realmit dem Leiden Christi. Das Untertauchen –das heute durch das Übergießen symbolisiert wird –ist ein zeichenhaftes Sterben und Begraben werden mit Christus. Weil der Täufling sich so mit dem Leiden Christi vereinigt, darum erhält er auch die Erlösung. Noch deutlicher wird dieser Gedanke bei der Bluttaufe. Ein Ungetaufter, der um Christi willen den Martertod auf sich nimmt, erhält die gleichen Gnaden, als hätte er das Sakrament der Taufe empfangen. Denn er hat sich ja nicht nur symbolisch mit dem Leiden Christi verbunden, sondern durch wirkliches Leiden und Sterben. Hier wird klar, wie die Christenheit überzeugt war, dass das Mitleiden mit Christus uns auch die Früchte seines Leidens schenkt. Wer sich also in der Fastenzeit selbst einen Verzicht auferlegt oder die Schwierigkeiten des Alltags bewusst trägt, um sich so mit dem leidenden Herrn zu vereinigen, der macht sich bereit, an Ostern ein gutes Stück mehrgeistig aufzuerstehen.

Durch die Mitfeier der hl. Messe

Noch auf eine dritte Weise können wir uns mit dem Leiden Christi verbinden: durch die Teilnahme an der hl. Messe. Die heilige Messe setzt das Opfer Christi gegenwärtig. „Sooft ihr dieses Brot esst und von diesem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn.“ (1 Kor 11,26) Im Sakrament der hl. Eucharistie wird zeichenhaft gesagt, was das Leiden Christi für uns bedeutet. Es ist Opfer und Nahrung unserer Seelen. In der hl. Eucharistie ist der Leib und das Blut Christi gegenwärtig und zwar unter unterschiedlichen Gestalten. Unter dem Aussehen des Brotes ist der Leib Christi gegenwärtig; was wie Wein aussieht, ist das Blut Christi. So sagen es die Wandlungsworte: Das ist mein Leib, das ist der Kelch meines Blutes.


Dass Leib und Blut voneinander getrennt sind, ist der typische Zustand des Geopfert-Seins. Wenn ein Lamm im Tempel geopfert wurde, dann wurde es geschächtet und sein Blut wurde aufgefangen. Leib und Blut des Lammes wurden getrennt. In diesem Zustand des Geopfert-Seins ist Christus in der hl. Eucharistie gegenwärtig. Und so ist sein Opfer gegenwärtig. Am Kreuz war er in einem ganz ähnlichen Zustand: Sein Leib hing am Kreuz und das meiste Blut hatte er vergossen. So setzt die hl. Messe das Opfer Christi gegenwärtig, und dieses Opfer ist die Quelle des göttlichen Lebens in unseren Seelen. Wäre Christus nicht für uns gestorben, hätten wir kein göttliches Leben in uns. Sein Opfertod ist das, was uns geistig lebendig macht und am Leben hält. Das wird in der hl. Eucharistie dadurch ausgedrückt, dass Christi Leib und Blut unter den Gestalten von Brot und Wein gegenwärtig werden. Unter Gestalten also, die Nahrung sind. Wie die leibliche Nahrung uns dem Leibe nach am Leben erhält, so erhält die hl. Eucharistie unser geistliches Leben, unser Gnadenleben. Es verbindet uns also nichts so eng mit dem Opfer Christi als die Mitfeier der hl. Messe und die andächtige hl. Kommunion.

In der hl. Messe können wir unsere Mühen und Plagen mit dem Opfer Christi verbinden. Christus hat am Kreuz sein Leben seinem Vater geschenkt, und zwar aus Liebe und Gehorsam. Das ist das größtmögliche Geschenk, das ein Mensch Gott darbringen konnte. An dieses große Geschenk können wir unsere kleinen Geschenke anhängen. Mal angenommen, wir sind zu einem Geburtstag eingeladen und haben kein Geschenk dabei. Auf dem Weg zur Feier treffen wir unseren Freund, der ein großes Geschenk mitbringt. In unserer Verlegenheit fragen wir ihn, ob wir nicht das kleine Blümchen, das wir gerade am Wegrand gepflückt haben, an sein großes Paket anstecken und dann sagen dürfen: Dieses Geschenk ist von uns beiden. Genau so können wir es in der heiligen Messe machen. Wir stecken unsere kleinen Mühen und Verzichte an das große Geschenk, das Christus seinem Vater darbringt und sagen dann zum Vater: Das ist von uns beiden. So verbinden wir uns mit dem Opfer Christi und werden bereit, auch seine Früchte zu erhalten.

Wenn wir auf diese Weise die Fastenzeit nutzen, um uns auf Ostern vorzubereiten, dann werden wir am Auferstehungsmorgenwirklich ein Stück weit mehr auferstehen, eine innigere Anteilnahme am göttlichen Leben erhalten und so in unserem geistigen Leben eine Stufe aufsteigen.


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