12.05.2018

Kraft und Segen der Stille


Ist doch“, rufen sie vermessen,
     „nichts im Werke, nichts getan.“
      Und das Grosse reift indessen
      still heran.
      (Ernst von Feuchtersleben]

Erst in der Stille können wir zu unserem Ich vordringen. Der Lärm und die Hetze der Welt wollen uns daran hindern. In der japanischen Tempelstadt Nikko sind drei Affen zu sehen, die sich Augen, Ohren und Mund zuhalten: Sie wollen uns bedeuten, dass wir nichts Unangenehmes sehen, hören und reden sollen. Gott hat uns zwei Ohren geschenkt und nur einen Mund — um mehr zu hören als zu reden. Nur wenn wir uns in stiller Sammlung, in Beschaulichkeit und Innerlichkeit auf uns selbst besinnen, gewinnen wir unser Ich. So sagt Gott dem Propheten Isaias (30,15): „Durch Umkehr und Stillesein sollt ihr gerettet werden, im Schweigen und Vertrauen soll euch Kraft werden.“ Der heilige Paulus mahnt: „Vermeide unheiliges, leeres Gerede!“ (2 Tim 2,16). Die stillen Leben aber sind wie Steine; sie wachsen in der Tiefe, und niemand weiß von ihnen. Aber einmal werden die großen Dome aus ihnen gebaut. Man kann nur dann sich selbst und den andern Hilfe bringen, wenn man zuvor sich selbst in der Einsamkeit und im Schweigen gefunden hat. Gerade in der Hast und Hetze unserer Zeit müssen wir Minuten, ja Stunden für die innerliche Sammlung finden.
Wie Ambossruhn auf Hammerschlag,
Wie Räderstehn am Mühlenstein,
einmal muss Stille in dir sein!
Einmal muss Stille in dir sein,
einmal kehr bei dir selber ein.
„In der Stille wird dem Geiste rechte Geistesoffenbarung» sagt F. W. Weber in «Dreizehnlinden.“
Im Schweigen des Alleinseins wird uns oft größte Offenbarung zuteil. Die Dichterin Paula von Peradovic sagt in ihrem Gedicht „Schweigen“:
„Was du beredest, muss vergehen,
was du verschweigst, wird nie vergeh'n.“
Das wahrhaft Große und Bedeutungsvolle kommt mit leisen Schritten; man muss zuvor ganz still geworden sein, um es vernehmen zu können. Wer fruchtbringend arbeiten will, braucht zuvor betrachtende Stille.
„Immer ist es der Schweigende,
der das Wort sät in die Welt.
Immer ist es der sich Neigende,
der zuletzt als Sieger Einzug hält.
Allen laut und hastig Strebenden
baut ein tiefes Grab die Zeit.
Nur dem still und einsam Lebenden
blüht die hohe Ewigkeit.»
Alfons Petzold,
österreichischer Arbeiterdichter (1882-1923)
Nirgendwo ist der Mensch sich so entfremdet wie in der Masse. Bevor sich Menschen ver-sammeln, sollten sie sich in sich selbst sammeln; bevor sie sich entfalten, sollten sie sich zuerst in stiller heiliger Einfalt finden. Nur dann können wir den Mitmenschen etwas bedeuten. Hier gilt das Wort Jesu: „Wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut“ (Mt 12,30).
Im 3. Buch der Könige (19,11 ff.) wird uns berichtet, dass der Prophet Elias von Gott die Weisung erhielt, sein Kommen auf einem Berge zu erwarten. Dort erhob sich ein heftiger Sturm, der die Felsen spaltete, aber der Herr war nicht in ihm. Hernach entstand ein gewaltiges Erdbeben, aber der Herr war nicht in ihm. Hierauf kam ein Feuer, aber auch in ihm war nicht der Herr. Endlich wehte ein leises, sanftes Säuseln. Da spürte Elias, dass Gott zu ihm kam. — Der Einsame, in sich Gesammelte ist viel mehr imstande, die leisen Stimmen der Dinge, der Menschen und die Stimme Gottes zu hören.

Quelle: Alois Meder, “Einsamkeit als Gnade”. Christiana-Verlag, 1986
Bild: Kunstverlag Benedikt Rast, Fribourg

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