„Es ist ein Stück der Herrlichkeit und ein Grund der
inneren Macht der katholischen Kirche, daß sie mit ihren Gottesdiensten und
Festen die Kirchenmauern durchbricht, das Heilige hinausträgt in das Leben, mit
ihren himmlischen Gesängen das Geräusch der Erde zum Schweigen bringt, sich
nicht scheut, den Altar auf der Straße aufzuschlagen.“
So schrieb der Protestant Hengstenberg. Und wie er können
sich viele Andersgläubige dem innigen Zauber nicht entziehen, der über der
Eigenart katholischen Frömmigkeitslebens liegt, in Prozessionen, Bittgängen und
Wallfahrten den Dienst Gottes betend und singend aus den engen Kirchenwänden
hinauszutragen in die blühende Welt, in Gottes herrliche Schöpfung.
Die Prozessionen sind der laute Ausdruck frommer
Begeisterung, der es in den Räumen des Gotteshauses gleichsam zu enge wird und
die ihre Empfindungen in die Welt hinausrufen und vor Himmel und Erde ihre
Gefühle aussprechen will. Es ist ein tiefes Bedürfnis religiösen
Volksempfindens, in öffentlichen Umzügen mit Gesang und Gebet Gott zu danken,
seinen Segen herabzuflehen oder seiner Majestät Sühne zu tun. Wie sehr die
Prozessionen dem Bedürfnis des frommen Volkes entsprechen, und mit welcher
Liebe es an ihnen hängt, zeigte sich deutlich in jüngerer Zeit, als die Kirche
sich genötigt sah, gegen gewisse Ausartungen im Prozessionswesen
einzuschreiten. Die Verbote, die erlassen werden mußten, wurden als gewaltsame
Eingriffe in althergebrachtes Brauchtum vielfach unbeachtet gelassen oder es
wurde ihnen entschiedener Widerstand entgegengesetzt. Wie groß z. B. die
Prozessionsfreudigkeit des westfälischen Volkes war, ergibt sich aus einem
Brief, den der Pfarrer von Thüle bei Paderborn 1783 an seine bischöfliche
Behörde richtete. Darin erklärte er im Anschluß an seinen Bericht über die
zahlreichen, in seiner Pfarrei üblichen Prozessionen, „daß die Pfarrgenossen
gar zu grob eigensinnig an diesen Prozessionen halten, da sie selbe auch bey
allerschlechtigstem Wetter ausgeführt wissen wollen; also daß dieselben auch
ohne Beysein des Pfarrers lauffen würden, wie ich in den ersten Jahren meines
Hierseyns schon einmal habe erfahren müssen.“
Die Kirche hat, von Verboten, die durch Mißstände
veranlaßt waren, abgesehen, die Freude des Volkes an Prozessionen liebevoll
gefördert. Sah sie doch in den Prozessionen ein öffentliches Bekenntnis der
Sieghaftigkeit des katholischen Glaubens, einen Feierlichen Lobpreis und Dank
gegen Gott, ein durch die Macht der Gemeinsamkeit besonders wirksames Bitten um
Segen und Sühne der Schuld.
Hochgelobt und gebenedeit sei das allerheiligste Sakrament des Altares, von nun an bis in Ewigkeit! |
Die Berechtigung der Prozessionen ergibt sich aus dem
Leben Jesu. Er zog selbst am Palmsonntag in feierlicher Prozession in Jerusalem
ein. Seit jenen Tagen drängt es auch die Christen zu öffentlichem
Glaubensbekenntnis aus den Häusern und Kirchen hinaus ins Freie. Die
glanzvollste aller Prozessionen ist die Fronleichnamsprozession.
Quelle: Alphons Maria Rathgeber, „Kirche und Leben“ – Ein
Buch von der Schönheit und Segenskraft der Kirche. Verlag Albert Pröpster,
Kempten im Allgäu 1956
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