10.11.2017

Begegnung mit dem Dorfpfarrer


Pilgerbericht von P. Otto Maier SJM
Dom José
Abends gegen halb acht Uhr habe ich jenes Städtchen erreicht, wo ich die Nacht zubringen will. Viel Betrieb ist auf der Straße, denn morgen feiert man Kirchweih. Ich rede zwei Frauen an und bitte sie, mir zu sagen, wo der Pfarrer wohne und wie er heiße.
Sie sagen mir: „Sie müssen dort vorne den Platz überschreiten, dann sehen Sie den Rohbau einer Kirche, und gleich daneben steht das Pfarrhaus.“ Ich bedanke mich und steuerte auf mein Ziel zu.
Als ich die Kirche sehe, staune ich. Sehe ich doch eine hypermoderne Eisenkonstruktion, angelegt als Rundbau. Dabei bedenke ich, dass dieser Pfarrer mit mir nichts anfangen könne, da er Bausorgen habe. Dann stehe ich klopfenden Herzens vor seiner Tür, aber er ist nicht zu Hause. Ich stapfe Treppe wieder hinunter und frage, wo der Kaplan wohne. Gleich nebenan, aber er ist ebenfalls nicht daheim. Seine Schwester schickt mich zu einer Kapelle vor der Stadt, wo er den Rosenkranz mit den Leuten betet. Meinen Rucksack kann ich im Pfarrhaus lassen. Dann gehe ich, um ihn zu suchen. Ich wäre froh, nicht mehr laufen zu müssen.
Reges Treiben umschwirrt mich: Buben die als kleine Gruppen die Straßen durchstreifen, - Kinder, denen man ein Eis gekauft hat – Musik auf den Tribünen und alle Straßen voll Menschen. Autos schieben sich durch die Menge – junge Pärchen vergnügen sich und halten sich an den Händen. Es riecht nach frischem Gebäck. Dennoch bleibe ich nicht stehen, sondern strebe vorwärts. Das ist nicht mehr meine Welt.
Schon die Frauen, denen ich begegnet bin, sagten, dass der Kaplan Don José heiße. Er ist darum verwundert, als ich ihn mit seinem Namen anrede. Er ist ein älterer Herr. Aus seinem Gesicht strahlt Güte. Seine Augen schauen freundschaftlich, aber gleichzeitig blickt er mich forschend an. Als ich in die Kapelle eintrete, spricht er gerade mit einer Dame.
Ich warte einen Augenblick, bis er sich mir zuwendet, und frage: „Don José, kann ich sie in der Sakristei kurz sprechen?“
„Einen Moment bitte.“
Wir gehen durch die Kirche, machen unsere Kniebeuge vor dem Allerheiligsten und stehen dann in der Sakristei.
„Sie wünschen, Señor? Was kann ich für Sie tun?“ Welchen Eindruck ich auf ihn mache, weiß ich nicht. Ich bin bekleidet mit einer schwarzen Hose, habe ein graues Hemd an und eine Windjacke aus dunkelblauem Stoff.
Ich sage ihm: „Don José, ich bin Priester und will sie fragen, wo ich morgen früh die Heilige Messe feiern kann? Und können Sie einen Rat geben, wo sich eine einfache Unterkunft finden lässt?“
Während ich noch spreche, ruft man ihn an die Sakristeitüre. Aber er kommt sofort wieder zurück. Dann sagt er: „Sie sind also Priester. Zu welcher Sekte oder religiösen Gemeinschaft gehören Sie? Denn Priester gibt es ja überall. Woher kommen Sie?“
Ich lache und lasse mich nicht beirren. „Ich gehöre zu derselben Sekte wie Sie, Don José, unter Leitung unseres Heiligen Vaters Papst Paul VI.
Heute bin ich von zu Hause aufgebrochen, um eine Wallfahrt nach Fátima zu unserer Lieben Frau zu machen.“
„Wollen Sie zu Fuß gehen?“
„Ja, soweit ich es vermag. Ein Teil der Reise wird wohl auch per Autostopp vor sich gehen.“
Darauf gibt mir Don José Bescheid: „Zelebrieren können Sie überall. Aber nun beten wir zuerst den Rosenkranz. Nachher finden wir etwas für Sie. Wollen Sie in der Kapelle mitbeten?“
Ich ziehe es vor, in der Sakristei zu bleiben. Er geht nach draußen und fängt mit den Leuten an, Rosenkranz zu beten.
Auf einem Stuhl, der an der Wand steht, habe ich mich niedergelassen. Ich versuche mitzubeten, aber bald schlafe ich vor Müdigkeit ein. Nach einer guten halbe Stunde sind sie mit dem Rosenkranz fertig. Und hernach kommen viele Vaterunser, die noch abgehängt werden. Für mich ist das zuviel, und ich sage mir, dass man so viele Vaterunser ja gar nicht andächtig beten könne. - Das müsse zur Leier werden! - Doch als mich dann Don José abholt, und wir durch die Kapelle gehen, sagt er zu mir: „Beten wir unseren Herrn an!“ Er kniet ohne weitere Umstände vor dem Allerheiligsten nieder und betet mit Inbrunst. Er betet das Vaterunser. Sein Gebet ist echt und ohne Salbung. Mich erstaunt die tiefe Überzeugung, die aus jedem Wort spricht. - Muss ich nicht vorsichtiger sein mit meinem Urteil? Ist es notwendig, die ältere Generation für starr zu halten, wenn sie mehr Vaterunser betet als die jüngere? Jesus gibt uns den Rat: „Den neuen Wein in neue Schläuche zu gießen.“ Den alten Wein aber lässt man in den alten Schläuchen, beides ist sinnvoll und schützt vor Torheiten. (Vergl. Mt 9, 17 und Mk 2, 22)
Es ist dunkel geworden. Don José sagt mir unterwegs, dass er mich gerne aufgenommen hätte, aber des Festes wegen keinen Platz mehr habe, doch hier am Ort gäbe es französische Schwestern, die gewiss noch ein Gastzimmer frei hätten. Dort wolle er nachfragen.
Die Schwestern nehmen mich herzlich auf, geben mir ein Nachtessen. Sehr schnell ziehe ich mich zurück, um zu schlafen. Das Zimmer ist zu schön für einen, der unbekannt von der Straße kommt.
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Wieder auf der Straße. Die französischen Schwestern haben mich mit Brot und Früchten versorgt. - Die Gestalt Don Josés beschäftigt mich. Sie hat auf mich einen tiefen Eindruck gemacht. Er ist Priester, spendet die Sakramente, verkündet das Wort Gottes. Aber aus seinem Angesicht leuchtet Jesus. Seine Gegenwart flößt Mut und Zuversicht ein. Seine Gebete erfüllen mit Ehrfurcht und drängen zur Anbetung. Nicht sein Wort, sondern die Art, wie er lebt, verkündet Gott und legt Zeugnis ab für die Botschaft Jesu.
Er sagte mir: „Lieber Mitbruder, die Straße ist lang, vertraue auf Gott. ER wird dich geleiten. Die liebe Gottesmutter nehme dich bei der Hand!“
Ein wenig gebeugt von der Last der Tage stand dieser Mann vor mir. Silberne Fäden durchziehen sein Haar. Auch ihn hat der Sturm der Prüfungen hart hergenommen. Aber er widerstand. Er durchlitt zusammen mit seinem Meister Jesus die Stunden der Verleugnung und der Missverständnisse. Er fügte sich in den unbegreiflichen Willen des Vaters im Himmel. Nun, da er alt geworden ist und die Hoffnung wie ein unverlierbares Erbe in ihm lebt, ist sein Angesicht lachend wie ein milder Herbstabend. Solche Priester sucht die Welt von heute! Er hat vielleicht keine Kirche gebaut, ist kein großer Organisator und mag auch sonst Mühe gehabt haben bei der täglichen Arbeit. Aber das EINE NOTWENDIGE für alle Arbeit im Weinberg des Herrn, das besitzt der Kaplan Don José. Er ist wie Jesus. Um solche Priester muss das Volk den Vater im Himmel bitten! Auch ich danke Gott, dass ich auf der ersten Station meines Wegs nach Fátima einem Priester wie Don José begegnen durfte.

Quelle:Pilgerfahrt nach Fatima – 1967 – Otto Maier – Reisebericht – Erlebnisse – Gespräche – Überlegungen – Rosenkranz – Die Botschaft von Fátima für unsere Tage.

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