18.11.2012

Prozession zur Schmerzhaften Muttergottes in Worms-Wiesoppenheim

Am südlichen Ende der Borngasse, die aus der Ortsmitte hinauf zu den Weinbergen führt, steht die Feldkapelle zur „Schmerzhaften Muttergottes“, die im Volksmund auch „Heiligenhäuschen“ genannt wird. Am Michaelstag, eine Woche nach Kirchweih, führt eine Prozession von der katholischen Pfarrkirche zu der Kapelle. Dieser Brauch geht auf ein Gelübde aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges zurück. Damals bedrohte die Pest die Dorfbewohner, die für den Fall ihrer Rettung eine jährliche Prozession zur Kapelle gelobten. So ist es bis heute geblieben.

Am 11. Juni 1899 wurde der nach Süden ausgerichtete Rechteckbau mit Rundbogenfenstern, Krüppelwalmdach mit offenem Dachreiter und einem von Säulen getragenen Vordach eingeweiht. Von der Straße führt eine Freitreppe zur Kapelle hinauf. An dieser Stelle stand bereits ein Vorgängerbau, der nach Jahrhunderten vom Verfall bedroht war.

Die Festpredigt bei der Neueinweihung im Juni 1899 hielt der Seminarleiter Lenhart aus Bensheim, wie in der Chronik und Festschrift zur 1200-Jahrfeier von Wiesoppenheim (793-1993) nachzulesen ist. Die mahnenden Worte der Predigt, die auf die Zeitumstände vor inzwischen mehr als 110 Jahren ausgerichtet waren, hätten von ihrer Aktualität kaum etwas eingebüßt, so die Meinung der Herausgeber, die deshalb den Wortlaut der Predigt in der Festschrift weitgehend wiedergegeben haben.

So heißt es darin, dass die Erwerbsquellen reichlicher fließen als in früheren Zeiten. Aber sie vereinigten sich leider höchst selten zu einem großen, die Menschheit befruchtenden Strome des wahren Glücks und Friedens, stattdessen würden sie in zahllose kleine Wässerchen auseinanderfließen. Da niemand zwei Herren zugleich dienen könne, so gebe der Mensch der Gegenwart sorglos die höheren geistigen Güter, die Erkenntnisse der Liebe und den Dienst Gottes preis, um vergänglichen Schattenbildern, Geld und Genuss wie einer Gottheit zu huldigen.

Mit dem Neubau und der Einweihung der Feldkapelle, die durch Spenden aus der Bürgerschaft restauriert werden konnte, hätten die Wiesoppenheimer Katholiken hingegen ein lebendiges Zeugnis dafür abgelegt, dass sie „den heiligen Glauben als höchstes Gut und größtes Erdenglück betrachten“. Der Prediger pries die Gläubigen und lobte sie, „dass Ihr - einer alten katholischen Sitte gemäß - am Feldwege einen stummen und doch so beredten Mahner an die Ewigkeit errichtet habt“.

Wörtlich lauteten die Schlussgedanken der Predigt unter anderem: „In der Kapelle am Wege habt Ihr auch eine Leidensschule und Leidenszuflucht errichtet. Das höchste göttliche und menschliche Leidensvorbild habt Ihr Euch zur bleibenden Mahnung erbaut und keiner möge je von dieser Stelle scheiden, ohne den Vorsatz gefasst zu haben: Ich nahm mir das Beispiel zur Lehre. Die neue Gebetsstätte mit ihrem Bilde der schmerzhaften Gottesmutter überragt Wiesoppenheim. Möge dies ein Unterpfand dafür sein, dass Ihr Euren Blick erhebt, und dass Maria, die himmlische Mutter, ihren festen Schutzmantel immerdar über Wiesoppenheim und seine Bewohner ausbreitet “.

Die Feldkapelle mit ihrer neugotischen Innengestaltung und dem Kreuzrippengewölbe, den farbig verglasten Fenstern und der ausgemalten Decke hat als Mittelpunkt den kleinen Altar mit der Pietà. Dazu stimmt über dem Eingangsportal der Kapelle das Klagelied 1.12 mit dem bekannten Text geistig ein: „O Ihr alle, die ihr vorübergehet am Wege: Gebet acht und schauet, ob ein Schmerz gleich sei meinem Schmerze.“

Quelle: Wormser Zeitung vom 17. November 2012

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