08.10.2015

Fragen zur Familiensynode 2015 - V

V. Die vorrangige Aufgabenstellung der Synode 2014: das Verhältnis Kirche-Welt


27. FRAGE: Nach der Methodologie der Synode soll der „Anhörung“ der Gläubigen vorrangige Wichtigkeit zukommen. Was ist von dieser neuen Priorität zu halten?

ANTWORT: Die Kirche ist in ihrem Handeln immer von den auf dem Wort Gottes und auf der Überlieferung beruhenden Glaubenswahrheiten ausgegangen, um darauf eine Pastoral aufzubauen, die im praktischen Leben umgesetzt werden kann, und auf diesem Weg die Menschen zum ewigen Heil zu führen. Ein altes Sprichwort sagt, „werde, was du bist“, das heißt, erfülle deine Berufung. Nicht zufällig überschrieb der hl. Papst Johannes Paul II. den 3. Teil seiner Enzyklika Familiaris consortio über die Aufgaben der christlichen Familie mit den Worten: „Familie, werde, was du bist!“
Während der Synode zeigt sich eine Tendenz, die in eine ganz andere Richtung führen würde: es wurde gefordert, die Kirche solle, von der konkreten gegenwärtigen Situation ausgehend, eine an diese Situation angepasste neue Pastoral und Disziplin entwerfen. Hier läuft man Gefahr, so der große Kirchenrechtler Velasio de Paolis, in die „Moral der Situation“ hineinzuschlittern, was soviel bedeutet, wie das genannte Sprichwort umzukehren: „sei das, was du geworden bist“ – mit anderen Worten, passe dich den gegenwärtigen Tendenzen an.
Diese Methode setzt eine „historizistische“ Auffassung voraus, die nicht von der offenbarten Wahrheit, sondern von der aktuellen historischen Situation ausgeht, der sich die Kirche anpassen soll, um sie christlich zu „beleben“, wie einige meinen, oder, nach Meinung von anderen, um überhaupt überleben zu können.
„Tatsächlich hat sich der Dialog mit der Welt in Anpassung an die Welt verwandelt und vielleicht sogar zu einer gewissen Verweltlichung und Säkularisierung der Kirche beigetragen, die damit dann nicht mehr den ausreichenden Einfluss auf die Kultur der Zeit und auch keine Durchschlagskraft für ihre Botschaft mehr hatte. Das hat zu einer Krise in der Kirche selbst geführt. (…) Im lobenswerten Versuch, mit der modernen Kultur Dialog zu führen, läuft die Kirche Gefahr, selbst die göttliche Wahrheit, die ihre eigentliche Natur ausmacht, beiseite zu schieben, um sich der Welt anzupassen: sie leugnet zwar natürlich nicht die eigene Wahrheit, aber sie stellt sie nicht in den Mittelpunkt des Dialogs und zögert nur allzu oft, Lebensideale als erstrebenswert hinzustellen, die nur im Lichte des Glaubens sinnvoll und nur mit Hilfe der Gnade praktizierbar sind. Die Kirche läuft Gefahr, ihre wahrste und tiefste Botschaft aufzuweichen, aus Angst, von der modernen Kultur abgelehnt zu werden oder um sich dieser anzubiedern (Kardinal Velasio De Paolis, zit. Vortrag, SS. 7 und 30).


28. FRAGE: Wurde diese Haltung wirklich von einigen der Synodenväter bestätigt?

ANTWORT: Ein renommierter Synodenteilnehmer soll erklärt haben: „Es gibt auch eine theologische Entwicklung, alle Theologen bestätigen das. Nicht alles ist statisch, wir schreiten voran in der Geschichte, und die christliche Religion ist Geschichte und nicht Ideologie. Der gegenwärtige Kontext der Familie ist anders als vor 30 Jahren, in der Zeit der Familiaris consortio [des hl. Johannes Paul II.]. Ohne Geschichte weiß ich nicht, wohin wir gehen werden; wenn wir das verneinen, bleiben wir dort stehen, wo wir vor zweitausend Jahren waren“ (Corriere della Sera, 4.10.2014).


29. FRAGE: Können wir dann behaupten, dass die christliche Religion sich im Laufe der Geschichte entwickelt und verändert?

ANTWORT: Die christliche Religion ist keine historische Evolution, die veränderlich und widersprüchlich ist, sondern geoffenbarte Wahrheit, Lebensquell und Weg zum Heil; sie identifiziert sich mit Jesus Christus, der gesagt hat: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Der Erlöser gab seiner Kirche den Auftrag, die Menschheit zu evangelisieren, und nicht, sich von dieser „evangelisieren“ zu lassen; die Menschen zu führen und nicht, von ihnen geführt zu werden; den Lauf der Geschichte zu heiligen und nicht, von ihm „geheiligt“ zu werden. Die Katholische Kirche hat den Auftrag, die Frohe Botschaft zu verkünden, die Menschheit zu heiligen und die Seelen zum ewigen Leben zu führen. Die Kirche ist die Mater, Magistra et Domina gentium und nicht die Menschheitsgeschichte oder die Welt.
Es ist durchaus richtig, dass neue Fragen und Probleme nach angemessenen Antworten verlangen. Diese müssen aber fest in dem unberührbaren depositum fidei, dem gesamten Glaubensgut, verankert sein und mit diesem übereinstimmen.


30. FRAGE: Ist es wahr, dass die Sittenlehre der Kirche heutzutage den Kontakt mit dem echten Leben verloren hat, weil sie eine nicht mehr existierende Realität voraussetzt und daher einer breiten Anpassung an die aktuelle Situation bedarf?

ANTWORT: Die Lehren der Kirche, auch auf sittlicher Ebene, sind „per definitionem“ katholisch, das heißt, beziehen sich auf das Ganze  - und nicht nur auf einen Teil des Ganzen - und sind deshalb dauerhaft und universal. Die griechischen Väter nannten sie den „ewigen Schatz“ (thèma eis aèi), da sie sich auf zwei unveränderliche Wirklichkeiten stützen: die von Gott geschaffene menschliche Natur und die von Jesus Christus geoffenbarten ewigen Wahrheiten. Die „moderne Welt“ hat jedoch in vielen wichtigen Fragen den Kontakt mit der Wahrheit verloren und sich von der Kirche getrennt. Dadurch ist sie, wie man heute allgemein beobachteten kann, vom Weg abgekommen und in vieler Hinsicht gescheitert.
Die historische Veränderung der Gesellschaft ist die Folge von sittlichen und kulturellen Irrtümern und Fehlern, die daraus entstanden sind, dass die Menschen ermutigt wurden, ihren ungeordneten Leidenschaften nachzugeben. Die Kirche darf sich diesen Irrtümern und ihren Folgen nicht anpassen, sondern muss sie identifizieren, beim Namen nennen und beseitigen. Nur so kann es zu einer echten Aktualisierung ihrer Pastoral kommen.


31. FRAGE: Sind die jüngsten Veränderungen im familiären und sexuellen Leben nicht Teil der modernen Kultur und Folge einer unaufhaltsamen historischen Evolution, die nicht verurteilt werden darf, sondern nur zur Kenntnis genommen werden sollte?

ANTWORT: Die von der sexuellen Revolution verursachten soziokulturellen Veränderungen werden allzu leicht als unvermeidlich und irreversibel akzeptiert. In Wahrheit sind sie aber häufig nur kurzlebige pathologische Erscheinungen einer heilbaren geistigen Krankheit. Auf jeden Fall gibt es keine menschlichen Umstände oder Verhaltensweisen, die nicht einem moralischen Urteil unterworfen werden können; sie können und müssen mit dem Maß der Wahrheit und der Gerechtigkeit gemessen werden. Der hl. Paulus hat dies sehr oft getan und hat auch die einem Christen nicht geziemenden Verhaltensweisen aufgelistet (Röm 1,26-32; 1 Kor 6,9-10; 1 Tim 1,9).
Vor kurzem hat ein renommierter Moraltheologe, Kardinal Carlo Caffara, Erzbischof von Bologna, über gewisse Denkmuster gesprochen, die in der Kirche vermieden werden sollten. Als Beispiel nannte er „das Gutmenschentum, das die Meinung vertritt, die Kultur, von der ich gesprochen habe (AdR: die der sexuellen Revolution), sei ein unaufhaltsamer historischer Prozess. Als Lösung wird ein Kompromiss (mit dieser Revolution) vorgeschlagen, der alles vermeintlich Gute bewahren soll, was man in ihr zu erkennen glaubt“ (Kardinal Carlo Caffara, Tre strade per costruire la verità del matrimonio [Drei Wege, um die Wahrheit der Ehe aufzubauen], Avvenire, 12.3.2015).


32. FRAGE: Welche Fragen sollte man sich dann über die aktuelle Trennung zwischen Kirche und Welt stellen?

ANTWORT: Man sollte sich die folgenden Fragen stellen: Wie ist es gekommen, dass die „moderne Welt“ die Lehre der Kirche über so viele grundlegende Fragen der menschlichen Existenz zurückgewiesen hat? Welcher historische Prozess hat zur aktuellen Trennung zwischen Kirche und Welt geführt? Wie kann die Kirche die „Wunden heilen“, die in der heutigen Gesellschaft aufgebrochen sind, und die verlorene Gesundheit wiederherstellen, ohne sich von der Krankheit anstecken zu lassen? Die Beantwortung dieser Fragen wird zeigen, auf welche realen Situationen die Pastoral der Kirche reagieren muss und wie sie dies tun kann, ohne die überlieferte Lehre zu verleugnen.
Der Versuch, nur die schwerwiegendsten und am meisten ins Auge fallenden Folgen der Situation aufhalten zu wollen, wird nicht viel bringen. Eine Krankheit kann nur unter Anwendung der richtigen Arznei und durch Beseitigung ihrer Ursachen geheilt werden. Doch dazu müssen die Hirten emotionale Reaktionen vermeiden, eine ehrliche und richtige Diagnose stellen und dann die wirksamste Arznei verschreiben (vgl. Kardinal Velasio de Paolis, zit. Vortrag, SS. 6-9).

Quelle: 
„Vorrangige Option für die Familie“
100 Fragen und 100 Antworten im Zusammenhang mit der Synode
von S.E. Erzbischof Aldo di Cillo Pagotto SSS, S.E. Bischof Robert F. Vasa und S.E. Weihbischof Athanasius Schneider

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